Meine Erlebnisse mit Saito Sensei

Die Mühe lohnt sich

Ende Oktober 1986 gab es eine große Aikido Veranstaltung in der nahegelgenen Stadt Hitachi. Alle Mitgliederdojos der Ibaraki Präfektur kamen zusammen, um ihre jeweiligen Demonstrationen vorzuführen. Saito Sensei war der Vorsitzende und betrachtete das Geschehen ganz genau. Gemeinsam mit einem Uchi Deshi aus Australien hatte ich mich auf diese Demonstration vorbereitet. Als wir in der großen Halle ankamen, teilte man mir mit, dass ich nicht demonstrieren dürfte, da ich mich an der falschen Stelle der Liste eingetragen hätte, ich nur Zuschauer sein dürfe und meinen Trainings Gi wieder ausziehen solle. Saito Sensei wurde darüber auch informiert. Was tun? Ich setzte mich einfach zu unserer Gruppe und signalisierte damit meine Bereitschaft durch meine Anwesenheit die anderen moralisch zu unterstützen. Im Laufe der Vorführungen kam Saito Sensei auf mich zu und bedeutete mir, dass ich meine Demo zeigen solle. Ich war aufgeregt und berührt, hatten doch meine Bereitwilligkeit und mein Ausharren dazu geführt, dass sich Saito Sensei persönlich für mich eingesetzt hatte.
Meine Demonstration verlief gut und beim Dojofest am Abend, kamen die Sempais (Oberschüler) auf mich zu und erzählten mir, wie sehr sich Sensei über meine Vorführung gefreut hätte. Immer wenn ich Sensei im Laufe des Abends ansah, lachte er mir wohlwollend und zufrieden entgegen. Saito Sensei übernahm O’Senseis Dojo nach dessen Tode im Jahr 1969 und damit die technische Leitung des Aikidos in Iwama. Schüler und Lehrer kamen aus aller Welt in das Iwama Dojo und sie mussten viel Kritik zum korrekten und genauen Aikido über sich ergehen lassen. Saito Sensei war die höchste Autorität, eine Position die O’Sensei auf ihn übertragen hatte, und es galt, den Fundus des modernen Aikidos nach 1945 zu bewahren. Saito Sensei tat dies mit aller Konsequenz und lies sich auch nicht von Doshu, dem Oberhaupt des Aikidos und dem Hombu Dojo – dem Aikidowelthauptquartier in Tokio – einschüchtern. Im Besonderen ging es Sensei um die korrekten Winkel bei der Ausführung der Aikidotechniken, die mit aller Genauigkeit ausgeführt werden mussten und denen man in jeder Phase der Bewegung unerlässlich Aufmerksamkeit zollen sollte. Saito Sensei war bekannt und gefürchtet dafür, die Schüler des Hombu Dojo – wenn sie es wagten in Iwama zum Training zu kommen – auf die richtigen Winkel hinzuweisen. Das blieb nicht einmal einem Doshu erspart.
Am 15. Dezember 1986 kam Doshu Kisshomaru Ueshiba mit seinem Sohn Moriteru und einer Gefolgschaft von Schülern nach Iwama um O’Senseis Geburtstag zu feiern. Ein  großes Fest wurde veranstaltet. Niedrige Tische wurden im Dojo aufgestellt und am Rande der Matte gab es kleine Heizkörper, die mit einem Gebläse das Dojo wärmen sollten. Mitte Dezember ist das eine aufwändige Angelegenheit, denn überall dringt die Kälte durch die Ritzen und Papiertüren ein. Hitohiro, Saito Senseis Sohn, hatte zu diesem Fest einen besonders auserlesenen Fisch für Sashimi zubereitet. Auf einer wunderschönen Platte tauchte dieser Fisch durch eine Welle von Schaum, der aus zugeschnittenem Daikon Rettich bestand. Der rötliche Fisch war schon in kleine Häppchen aufgeteilt und man konnte mit Stäbchen davon nehmen. Dieses Kunstwerk der japanischen Küche stand nun vor Doshu der mit dem Rücken zum Kamisama saß. Hinter Doshu war eines der  Warmluftgebläse aufgestellt, damit der hohe Gast nicht friere. Der Fisch war noch nicht angerührt worden, er war zum Betrachten da, und man unterhielt sich während das Mahl im vollen Gange war und zum reichlichen Essen Bier und Sake getrunken wurde und auf Doshu angestoßen wurde, über diesen kunstvollen Fisch, bevor er gegessen wurde. Plötzlich stand Saito Sensei auf und erklärte vor versammelter Mannschaft, dass die Warmluft aus dem Heizgebläse auf Grund eines falschen Winkels direkt auf den Fisch gerichtet sei und der Fisch damit verderben würde. Um dies abzuwenden, drehte Saito Sensei das Warmluftgebläse demonstrativ in eine andere Richtung. Alle hatten aufmerksam zugeschaut und Doshu lächelte etwas trocken; wieder hatte Saito Sensei einen Punkt gemacht, wieder einmal war es der falsche Winkel der verbessert werden musste.
Die Tage vergingen mit geregelten Abläufen, es war Winter geworden und kalt. Eine Spezialität von Sensei waren selbstgemachte Soba Nudeln, deren Zubereitung er von Zeit zu Zeit für seine besonderen Gäste in Anwesenheit aller Uchi Deshis vorführte. Im Küchenbereich, dem Shokudo wurden alle Zutaten für die Nudeln zusammengetragen. Sensei stellte sich hinter dem Tisch auf und begann damit, Mehl und Wasser mit Gewürzen zu vermengen und zu einem Nudelteig zu kneten. Um ihn herum stehend, ließen uns keine seiner Gesten und Bewegungen entgehen. Das Interessante war nämlich, wie Sensei beim Kneten des Teiges meisterlich die Ausdehnung und Atemarbeit seiner Arme und Hände, im Japanischen “Kokkyu” genannt, dazu benutzte, den Teig geschmeidig zu machen. Es war wie eine kraftvolle Aikido Demonstration und die handgeschnittenen Nudeln erwiesen sich anschließend beim gemeinsamen Verzehr als äußerst lecker.

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